Conference Summary: Big Data – Big Nursing
Held by the Academic Acute Care Society of the Swiss Nursing Science Association (ANS).
Fachtagung „Big Data – Big Nursing?“
Am 24. November 2016 führte der Verein für Pflegewissenschaft (VFP) zusammen mit der akademischen Fachgesellschaft für Akutpflege eine Tagung zu Big (Nursing) Data, eHealth und Pflegeinformatik durch. Dr. Alexandra Bernhart-Just, Präsidentin der AFG Akutpflege und Prof. Dr. Maria Müller Staub, Präsidentin des VFP, durften über 100 Teilnehmende begrüssen.
Im ersten Referat machte Prof. Serge Bignens, Professor für Medizininformatik an der Berner Fachhochschule, auf die grosse persönliche Datenmenge aufmerksam, welche wir alle mit unserem Smartphone schon jederzeit in der Tasche mittragen. Dieses betrachtet er nicht als Gadget, sondern als wichtiges Instrument für die Rolle von Patientinnen und Patienten in Big (Personal) Data im Gesundheitswesen. Er sieht die Aufklärung und Befähigung der Bevölkerung im Hinblick auf Big (Personal) Data, Vertrauen und transparente Datenhaltung als entscheidend: Der Bürger muss informiert und befähigt werden über die Chancen, Risiken und die eigene Rolle im Kontext von Big (Personal) Data.
Adrian Schmid, Leiter der Geschäftsstelle „eHealth Suisse“, betonte die Wichtigkeit, bei eHealth-Projekten über Information und Kommunikation hinauszugehen: Die technische und organisatorische Vernetzung von Behandelnden wie telemedizinische Beratung, Apotheke, Hausarzt, Spezialarzt, Spital, Rehabilitation, Heime und Spitexdienste ist wichtig, dies gerade in der föderalistischen Schweiz. Im Hinblick auf das ePatientendossier müssen die Gesundheitsinstitutionen bestimmte Auszüge aus der medizinischen Dokumentation elektronisch innerhalb des ePatientendossiers zur Verfügung stellen, sodass Patienten diese einsehen und verwalten können. Die Umsetzung des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier hat bereits begonnen.
Anschliessend folgte eine von Dr. Christian Heering geleitete Podiumsdiskussion zum Thema „Big Data – Chancen und Risiken für die Pflege?!“ mit den Referenten Dr. Alexandra Bernhart-Just, Prof. Serge Bignens, Matthias Odenbreit, Adrian Schmid, sowie mit Yvonne Cavalli, Co-Präsidentin Swiss Nurse Leaders und Pflegedirektorin Spital Ente Ospedaliero Cantonale in Bellinzona und Prof. Dr. Michael Simon, Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel.
Im Gespräch wurde deutlich, dass noch einiges an Aufklärungsarbeit über Big Data in der Bevölkerung, aber auch in der Berufsgruppe der Pflegenden notwendig ist: Wozu braucht es die Daten? Was sind die Gefahren? Der Informations- und Schulungsbedarf bestehe auf unterschiedlichen Ebenen und müsse schon in pflegewissenschaftlichen Studiengängen in Angriff genommen werden. Ebenso müssten Entscheidungsträger darin eingeführt werden, wie sie die Daten interpretieren können. Andererseits seien die Patienten selbst teilweise schon weiter als die Spitäler und sammelten für sich selbst bereits Gesundheitsdaten.
Ein weiteres Thema war für die Podiumsbeteiligten die Nutzung von Synergien: Es wurde geäussert, Anwender hätten oft zu wenig Informationen, weshalb sich Profis zusammenschliessen und gut zusammenarbeiten müssten. Gebraucht werden Experten, die ähnlich der amerikanischen Ausbildung in Nursing Informatics ausgebildet sind und vielfältiges Wissen über die Generierung und Verarbeitung von Pflegedaten, die Entwicklung internetbasierter Tools zur Patienteninformation und -edukation sowie für die Patientenversorgung über das Internet und eHealth hätten.
So könne daran gearbeitet werden, Pflegedaten sowie pflegerische Dienstleistungen für die Bevölkerung sichtbar zu machen, damit in die Verbreitung von eHealth auch investiert wird – denn der Politik liege dieses Thema am Herzen. Da die Bevölkerung das Gesundheitssystem finanziere, müsste dieses auch auf ihre Bedürfnisse eingehen. Es sollte also nur selbstverständlich sein, dass die Digitalisierung – wie in den meisten anderen Bereichen schon geschehen– auch im Gesundheitswesen umgesetzt wird.
Auf die inhaltsreiche Podiumsdiskussion folgte ein weiteres Referat: Matthias Odenbreit, Projektleiter bei der WigaSoft AG, erklärte in seinem Vortrag wie ein Data Warehouse funktioniert. Dabei sollten Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit stets vorausgesetzt sein. Der Klinikalltag generiert eine Unmenge von Daten, die oftmals nicht richtig interpretiert werden können. Mit korrekten und vollständigen Daten könnten zahlreiche Todesfälle verhindert werden, etwa durch die Vermeidung medizinischer Fehler oder die rechtzeitige Erfassung von Nebenwirkungen. Der Begriff des Data Cube wurde im Referat anschaulich erklärt und anschliessend Fragen für die Pflege, das Management und die Wissenschaft thematisiert.
Prof. Dr. Wolter Paans, der aus den Niederlanden angereist war, präsentierte seine Studie „The Predictive Power of Nursing Diagnosis on Length of Hospital Stay“, die aufzeigt, dass im Vergleich zu medizinischen Diagnosen und Behandlungen, Pflegediagnosen und Komorbidität bessere Prädiktoren für die Länge eines Spitalaufenthalts liefern. Dies wurde bei Patienten mit Hüft- und Knie-Totalendoprothesen untersucht und beweist, wie wichtig die hochstehende Ausbildung von Pflegefachpersonal hinsichtlich der Identifizierung und Dokumentation von Pflegediagnosen im Pflegeprozess ist. Er schloss sein Referat mit dem Film „Modern Times in Nursing“ der Hanze University of Applied Sciences in Groningen ab.
Nach der Mittagspause folgte ein Referat durch Fritz Frauenfelder, Vizedirektor Pflege, Therapien und Soziale Arbeit an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, zum Thema „Die stationäre Erwachsenenpsychiatrie – charakterisiert durch NANDA-I und NIC“. Der Referent stellte die Identifikation eines Profils der Pflege in der stationären Erwachsenenpsychiatrie vor, auf der Grundlage von pflegerelevanten Phänomenen und pflegerischen Interventionen als Arbeitsinhalten. Anhand der Pflegeklassifikationen NANDA-I und NIC konnte die Pflege in der Erwachsenenpsychiatrie gut abgebildet werden, dies trotz einer grossen Diversität hinsichtlich pflegerelevanter Phänomene und pflegerischer Interventionen. Die Thematik wurde stets aus dem Blickwinkel der stationären Erwachsenenpsychiatrie betrachtet.
In diesem Themenbereich blieb denn auch das nächste Referat „Denn sie wissen, was sie tun: Mitarbeiterbefähigung zur Anwendung von Pflegeklassifikationen“. Beatrice Gehri, Fachverantwortliche APN an der Abteilung Entwicklung & Forschung Pflege, erzählte am konkreten Beispiel wie sie an den Universitären Psychiatrische Kliniken Basel die NANDA-I, NOC- und NIC-Pflegeklassifikationen einführte und motivierte die Tagungsteilnehmer dazu, diesen Schritt zu wagen. Sie hatte an den UPK die Aufgabe, Schulungen für Pflegefachpersonen zur Einführung der NNN-Pflegeklassifikationen anzubieten, diese Pflegeklassifikationen in der elektronischen Pflegedokumentation zu implementieren und in die Prozesslandschaft der Klinken einzubetten. Dazu wurde Grundlagenwissen für alle Pflegenden vermittelt, auf den Abteilungen praktisch geübt und für die Fachverantwortlichen ein Austauschgefäss sowie ein Coaching durch eine Pflegeexpertin mit vertieftem Fachwissen angeboten. Die Wichtigkeit einer klaren Haltung vom Pflegemanagement, Gesprächsbereitschaft mit anderen Professionen und Controlling wurden als Schlüsselfaktoren für die Mitarbeiterbefähigung im Einführungsprozess genannt.
Dr. Alexandra Bernhart-Just, Leiterin Klinische Pflegewissenschaft & Pflegeentwicklung am Bethesda Spital AG Basel referierte zum Thema „Auf dem Weg zu Big Nursing Data? – Erfordernisse zur Entwicklung, Anwendung und Auswertung einer elektronischen Pflegeprozessdokumentation basierend auf den NANDA-I, NOC- und NIC-Pflegeklassifikationen“. Sie erklärte dabei, wie die enormen Mengen von Freitext-Daten, welche Pflegefachpersonen täglich generieren, durch eine standardisierte, elektronische Pflegedokumentation mit den Pflegeklassifikationen NANDA-I, NOC und NIC (NNN), einer äusserst schnellen Verarbeitungsweise und dauerhafter Verfügbarkeit ersetzt werden können. Das Referat erläuterte, welche Anforderungen aus der Sicht von Big (Nursing) Data für die Dokumentation der Pflege und die Entwicklung elektronischer Pflegeprozessdokumentationssysteme resultieren. Es wurde ein sechsphasiges, NNN-kongruentes Pflegeprozessdatenmodell vorgestellt. Die Präsentation umfasste auch pflegerelevante Inhalte eines, den pflegediagnostischen Prozess unterstützenden, elektronischen Pflegeassessments, Filterungs- und Verknüpfungsarbeiten der NNN-Pflegeklassifikationen, Leit- und Begleitprinzipien zu deren Anwendung im Praxisalltag sowie Erfordernisse zur analytischen Auswertung von elektronischen Pflegeprozessdokumentationen.
Die Veranstaltung endete mit einer Buchpräsentation von Prof. Dr. Maria Müller Staub, Leiterin Pflegeentwicklung und Qualitätsmanagement am Waidspital Zürich und Jürgen Georg, Lektor beim Hogrefe Verlag. Maria Müller Staub stellte das Herausgeberwerk „Pflegeklassifikationen in Praxis, Bildung und elektronischer Pflegedokumentation“ vor und verlas Teile aus einer Buchrezension. Die am Buch beteiligten Autoren stellen darin die historische Entwicklung von Pflegeklassifikationen vor und erläutern zentrale Begrifflichkeiten. Neben diversen pflegespezifischen Klassifikationen werden auch Klassifikationssysteme vorgestellt, die im Gesundheitswesen und insbesondere in der Medizin zur Anwendung kommen und die Pflege tangieren. Das Buch schliesst mit der Anwendung von Pflegeklassifikationen im Praxisalltag, in der Bildung und in elektronischen Pflegedokumentationen. Jürgen Georg schloss den Tag mit einer äusserst unterhaltsamen Darstellung der Entwicklung von Pflegefachsprachen und die Tagungsteilnehmer konnten sich gleich vor Ort ein Exemplar des neu publizierten Werkes sichern.
„Big data – Big Nursing?!“ war hoch interessant, ausgesprochen abwechslungsreich, besonders gehaltvoll, clever strukturiert und ein grosser Erfolg für den Schweizerischen Verein für Pflegewissenschaft VFP, seine Akademische Fachgesellschaft Akutpflege sowie die Tagungsteilnehmer/innen.
Alle Tagungspräsentationen können unter dem folgenden Link auf der Seite des Vereins für Pflegewissenschaft abgerufen werden: http://www.vfp-apsi.ch/home/page.aspx?page_id=8964